Ein schwer geprüftes Land
Es vergeht kein Jahr ohne negative Schlagzeilen aus der politischen Welt Burmas. Seit 1962 regiert das Militär und vollstreckt mit brutaler Gewalt jeden Versuch der Opposition, das Land wieder von diesem Joch zu befreien. Die ganze Welt kennt den Leidensweg der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. 1990 errang sie bei freien Wahlen mit ihrer Partei National League for Democracy einen Erdrutschsieg. Wenige Monate danach erklärte das Regime in Rangoon das Wahlergebnis für ungültig und schlug die folgenden Proteste blutig nieder. 14 der letzten 20 Jahre verbrachte Aung San Suu Kyi unter Hausarrest und erst vor wenigen Wochen wurde sie zu weiteren 18 Monaten Ausgangssperre verurteilt. Ein schlechtes Vorzeichen für die kommenden Wahlen im Jahr 2010.
Burmas Konflikt hat seine Wurzeln jedoch nicht nur im Verlangen der Bevölkerung nach mehr Demokratie. Die Gründe sind viel weitreichender. Über 80 ethnische Gruppen bewohnen den 50-Millionen-Einwohner-Unionsstaat. Zahlreiche Minderheiten streben seit der Unabhängigkeit 1948 nach Autonomie und Selbstverwaltung. Über 20 Gruppen habe ihre eigene Armee und das Drogengeschäft spielt in manchen Regionen eine gewichtige Rolle. Hinzu kommen noch die wirtschaftlichen und strategischen Interessen der Nachbarländer Burmas und die grenzenlose Korruption in den Reihen der heimischen Politik und Verwaltung. Eigentlich klingt das alles zusammen sehr hoffnungslos. Trotz all dieser Probleme hatte Burma (heute heißt der Staat Union of Myanmar, nach seiner Umbenennung durch die Regimeführung) aber in den ersten Jahren nach der Unabhängikeit vom Britischen Königsreich eine aufstrebende Wirtschaft. Das Land konnte noch von der britischen Infrastruktur und den alten Geschäftsbeziehungen zehren. Das jähe Ende kam dann mit der Machtübernahme durch General Ne Win. Burma stürzte in den wirtschaftlichen Tiefschlaf. Tourismus gab es für viele Jahre überhaupt nicht und selbst nach der geringfügigen Öffnung in den 80er-Jahren war eine Reise in diesen Vielvölkerstaat teuer und durch das Regime sehr eingeschränkt.
Die burmesische Opposition und viele internationale Organisationen forderten jahrzehntelang zum Tourismusboykott gegen Burma auf. Ihre Argumente: Das Regime des Staates würde durch Tourismuseinnahmen finanziell nur noch weiter gestärkt. Devisenzwangsumtausch und die Notwendigkeit zu Benützung staatlicher Einrichtungen unterstützten die Boykottforderungen lange Zeit kräftig. Beides ist heute jedoch Vergangenheit. Natürlich erwirtschaftet Burmas Militärregierung weiterhin durch den Tourismus einen Teil ihrer Deviseneinnahmen. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Der Großteil „harter Währungen“ für das Militärregime kommt nicht von Touristen, sondern vom Verkauf von Holz, Bodenschätzen, Erdgas und Fischereirechten, sowie von Burmesen, die in den Nachbarländern arbeiten und ihre Ersparnisse zurück ins Land bringen. Zu den Käufern der natürlichen Resourcen Burmas zählen nicht nur die ASEAN-Staaten und China, sondern auch viele westliche Nationen.
Der Bürgerkrieg hat Millionen zu Flüchtlingen gemacht
Die meisten ethnischen Minderheiten der Nation haben in den 90er-Jahren nach langen Partisanenkriegen unter militärischem Druck Waffenstillstände und Friedensverträge mit dem Regime geschlossen. Die neuerlangte Sicherheit gab zwar den Machthabern in Rangoon die Möglichkeit der Kontrolle und Ausbeutung der „befriedeten“ Regionen, führte aber auch zur touristischen Öffnung bis dahin gesperrter Zonen. Zur Zeit erscheinen jedes Jahr neue Destinationen auf der Liste bereisbarer Orte Burmas und das Verständnis der Regierung für die Entwicklung des Toursimus hat sich grundlegend geändert. Aber auch die Argumente der Tourismusgegner haben sich gewandelt. Es sind nicht mehr nur die finanzpolitischen Gründe, die gegen eine Reise ins Goldene Land propagiert werden, sondern auch der Boykott aus ideologisch-politischen Gründen.
Seit Jahren überlege ich schon, ob dieser Boykott überhaupt sinnhaft ist. Wenn ich ohne große Hindernisse individuell durchs Land pilgern könnte, meine Devisen ungehindert unters Volk bringen könnte und mit den Menschen unzensierte Gespräche führen könnte, was sollte dann so falsch sein an einer Reise nach Burma? Ja, ich bin ein Regimekritiker, aber ich würde nicht als Befreiungskämpfer ins Land kommen, sondern als Tourist und Vermittler. Ich würde auch nicht versuchen, den nächsten Aufstand auszubrüten, sondern mit den Leuten über ihr Land, ihre Geschichte und ihre Wünsche schwätzen. Ist das schlecht? Ich finde es auch sehr eigenartig, dass viele „Burmaverweigerer“ fraglos (gedankenlos?) nach Vietnam, Laos oder China reisen. In diesen Ländern gibt es unzählige politische Häftlinge, Menschen werden enteignet – sogar für touristische Projekte – und ethnische Minderheiten politisch und wirtschaftlich benachteiligt. Meine Argumente sehe ich nicht als Freibrief für burmesischen Massentourismus. Wer jedoch in ein diktatorisch geführtes Land reist, sollte sich bereits vorher Gedanken machen, unter welchen Voraussetzungen er/sie dorthin fährt und ob es der Lokalbevölkerung dienlich sein kann. Ist letzteres nicht gegeben, rate auch ich von einer Reise ab, egal ob Burma, Laos oder sonstwo.
Entschluss zur Reise nach Burma
In den luftigen Höhen des Doi Inthanon wurde die Fahrt beschlossen
Mitte August fuhr ich mit Freundin Janey nach Chiang Mai, um mit dem Ethnologen Reinhard Hohler über den Mekong zu sprechen. Daneben war auch ein Treffen mit weiteren Freunden aus Österreich geplant. Die beiden, Leone und Bernhard Hantke aus Klagenfurt, waren auf dem Weg von Laos nach Nordthailand und unsere Wege kreuzten sich zufällig in Chiang Mai.
Am zweiten Tag meines Aufenthaltes in der kulturreichen Metropole Nordthailands traf ich mich zunächst mit Reinhard. Unser spätabendliches Geschnatter driftete nach und nach vom Mekong in Thailand ab in Richtung Nordwesten in den Shan-Staat der Union of Myanmar. Reinhard schilderte mir seinen abenteuerlichen Ritt mit einem 35 Jahre alten Landrover von Mae Sai über Keng Tung nach Möng La an der chinesischen Grenze und wieder zurück nach Thailand. Ich war wie gefesselt von seinen Erzählungen über die Volksgruppen des Shan-Staates, die zerklüftete Bergwelt, unberührte Hilltribe-Dörfer und das freundliche Entgegenkommen der Menschen in dieser entlegenen Region. Wie vom Blitz getroffen entschloss ich mich, seine Reise nachzuvollziehen. Meine Begleiterin meinte zwar, ich sei verrückt, aber auch sie fand schließlich Gefallen an der Idee. Um für unsere Tour mehr Sicherheit zu gewährleisten und auch die Kosten zu senken wollte ich noch Freunde mitnehmen. Ich fragte daher am nächsten Tag Leone und Bernhard bei einem Ausflug auf den Gipfel des Doi Inthanon, Thailands höchsten Berg mit 2565 Metern, ob sie die Fahrt in den Eastern Shan State mitmachen würden. Ihre Entscheidung fiel in wenigen Minuten. Unter Sauerstoffmangel und Höhenstrahlung sagten sie zu und wir legten den nächsten Morgen als Abfahrtstermin fest.
Für die 7-tägige Fahrt hatte ich mir kurzfristig noch einige Grundsätze zurechtgelegt: So wenig Geld wie möglich den staatlichen Institutionen Burmas zu hinterlassen, in privaten Unterkünften zu übernachten und mit den Menschen über den Tourismus und die Sinnhaftigkeit des Boykotts zu diskutieren. Ich wollte nicht einfach nur in den Eastern Shan State reisen um mein Bedürfnis nach Abenteuer zu stillen. Die Fahrt musste einen Zweckhintergrund haben – Tourismus und Frieden. Dieses Thema hatte ich bereits vor ein paar Monaten mit respect in Wien besprochen und nun war eine großartige Gelegenheit entstanden, in Burma zu recherchieren und einen Beitrag dazu zu schreiben.
Der Eastern Shan State ist eingebettet zwischen Thailand, Laos und China
Meine Erwartungen waren trotz der überschwenglich positiven Erzählungen von Reinhard Hohler eher gelassen und nicht zu hoch. Ich befragte kurzfristig einige Thais in Chiang Mai und alle berichteten mir von Diebstählen, Sicherheitsproblemen und schlechten Straßen im Shan-Staat. Letzteres traf dann wirklich zu, das fürchtete ich aber am wenigsten.
Unvermeidlicher Papierkram
Den ersten Tag der Reise verbrachten wir noch in Thailand mit dem Einkauf notwendiger Kleinigkeiten, wie etwa einer wasserdichten Kunststoffplane für die Ladefläche meines Allrad-Pickups und Naschereien für die Fahrt. Bevor wir schließlich 7 km vor dem Grenzort Mae Sai im kleinen, hübschen Fai Nam Rim Resort übernachteten, konnte ich auch noch die thailändischen Zollpapiere schnell, billig (25 Baht = 50 Eurocent) und unkompliziert erledigen.
Am folgenden Tag brachen wir schon früh auf.Wir wollten gleich nach den Grenzformalitäten weiter nach Keng Tung, der Hauptstadt des Eastern Shan State (ESS), fahren. Die ersten Stunden in Burma waren aber trotz unserer Reiseeuphorie eher ernüchternd.
Miss Win von Myanmar Travel and Tourism half uns über die bürokratischen Hürden hinweg
Der Einreisepapierkram gestaltete sich zermürbend und wäre ich nicht schon von Reinhard gewarnt worden, wer weiß, ob ich nicht auf der Grenzbrücke zwischen Mae Sai und Tachilek wieder umgedreht hätte. Zum Glück war da aber Miss Win vom Myanmar Travel and Tourism Office. Sie schlichtete nicht nur die gesamten Einreisepapiere, sondern half uns auch noch mit guten Ratschlägen, wie wir uns bei den Kontrollstellen entlang des Asian Highway No. 2 von Tachilek über Keng Tung nach Möng La zu verhalten hatten und wo wir uns überall melden mussten. Wenn man aus dem frei bereisbaren Thailand kommt, sind all diese Meldevorschriften und Checkpoints natürlich wie ein weiterer Dampfhammer. Was wir zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht kannten, war die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit des gesamten Personals an jedem Checkpoint entlang der Strecke. Hoppla, nicht jeden Checkpoints… Da war auch noch der Schranken der ethnisch chinesisch besetzten Kontrollstelle der Special Region 4 of Eastern Shan State, einer Region, die seit 1989 von der National Democratic Alliance Army (NDAA) kontrolliert wird. Mehr über diesen Staat im Unionsstaat der Shan aber später.
Gut zwei Stunden liefen wir vier Abenteurer zwischen Einwanderungsbehörde, Tourismusbüro und Zoll hin und her, bis wir schließlich die Erlaubnis erhielten, mit Reisepass-Ersatzpapieren und 20 Kopien einer 3-Seiten-Reisegenehmigung ausgestattet unsere Fahrt anzutreten. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits um 50 Dollar fürs Auto, 35 Dollar für die Haftpflichtversicherung, je 10 Dollar für Visa und noch insgesamt 300 Baht (8 Dollar) für 5 Tage Straßentaxen und Fahrzeugpassagiertaxen erleichtert. „Wenn das so munter weitergeht“, dachte ich mir, „sieht mich Burma nicht wieder…“ Mein Reisebegleiter Bernhard sprach nüchtern aus, was ich mir nur dachte: „Die schröpfen uns wie Goldesel…“ Es war nicht die Summe der einzelnen Beträge, die uns gleich am ersten Tag den Kopf schütteln ließ; es waren die Bezeichnungen der Gebühren und die Tatsache, dass solche von Touristen überhaupt eingehoben wurden. Fahrzeugpassagiertaxe, lächerlich… Burmas Behörden werden sich ernsthaft überlegen müssen, ob sie Touristen mit solchen Kleinigkeiten in Zukunft frustrieren wollen. Die Psychologie eines Reisenden ist nicht immer rational. Hätte man uns eine universelle Gebühr im Äquivalent der einzelnen Beträge abgeknackt, hätten wir vermutlich nicht einmal mit einer Wimper gezuckt. Stattdessen ließ uns der Staat aber die volle Ironie seiner schwerfälligen Bürokratie spüren.
Um etwa 11 Uhr vormittags verließen wir dann endlich den modernen, unattraktiven Grenzort Tachilek in Richtung Keng Tung. Wir hatten keine 5 km der 165 km langen Strecke hinter uns gebracht, als das muntere Schröpfen wirklich weiterging. Autobahngebühr. Auch diese Kleinigkeit war uns aufgrund eines informativen Reiseberichtes von Reinhard Hohler bereits bekannt. Wir bezahlten anstandslos die geforderten 1000 Kyat (1 Dollar) und mussten eigentlich nur darüber lachen, wie man für eine Rumpelpiste wie diese Straße eine Autobahngebühr einheben konnte. Es folgten dann noch zwei weitere Mautstellen und 4700 Kyat Gebühr. Der Asian Highway No. 2 wand sich zunächst sehr flach durch die Ebene hinter Tachilek, bis wir anschließend eine Hügelkette überquerten und nach knapp 50 km den ersten größeren Ort, Ta Lay, erreichten. Den ersten Kontrollpunkt hatten wir schon früher passiert. Dort wiederfuhr uns auch die bereits erwähnte Freundlichkeit der Polizei- und Zollorgane. Hätten wir nicht immer auf die flotte Weiterfahrt gepocht, wir hätten vermutlich an jedem Checkpoint Tee trinken können und wären womöglich gar nicht bis Keng Tung gekommen. Daneben sei noch positiv vermerkt, dass bei den Kontrollpunkten niemand auch nur auf die Idee kam, uns weitere Dollars aus den Taschen zu locken. In einigen Reiseführern ist völlig unrichtig von Schmiergeldattacken an ahnongslose Touristen die Rede. Diese Erfahrung machten wird während der gesamten Fahrt nicht.
Buddha wacht über den Asian Highway No. 2 im Shan-Staat
Nach Ta Lay, wo wir unsere Mittagspause einlegten, wurde die Landschaft immer spektakulärer. Die von regenzeitlichen Erdrutschen gesäumte Asphaltpiste führte nun durch enge Flusstäler und vorbei am Shan-Dorf Mong Phayak im höher hinauf in die wilden Berge des Eastern Shan State. Die Region ist von verschiedensten ethnischen Minderheiten bevölkert und mit geübtem Auge erkennt man auch sofort die unterschiedlichen Baustile der Hütten. Auf Tai Lue Ortschaften folgen Muser- und Akha-Dörfer und so weiter; die ethnische Mixtur des Shan-Staates ist faszinierend! Den höchsten Punkt der kurvenreichen Straße markiert der Loi Mwe Pass (1340m). Danach fuhren wir steil hinab in die Hochebene um Keng Tung. Es war bereits 5 Uhr nachmittags, als wir unser Tagesziel erreichten.
Kent Tung und der umkämpfte Shan-Staat
Metropole des Shan-Staates - Keng Tung
Keng Tung ist nicht klein. Geschätze 20,000 Menschen zählt die Bevölkerung. Und dennoch hat die Stadt Dorfcharakter. Die meisten Häuser sind aus gebrannten Lehmziegeln gebaut, weiß gestrichen und mit dunklen, verwitterten Tonschindeln gedeckt. Zwischen den Wohnhäusern der Stadt ragen die roten Dächer und goldenen Pagoden der über 40 buddhistischen Tempel Keng Tungs empor. Auch viele Christen leben hier, ich fand in den folgenden Tagen fünf Kirchen. Sogar eine kleine Moschee dient den wenigen Moslem in Keng Tung als Ort des Gebets. Der Großteil der Bevölkerung der außergewöhnlich sauberen Stadt sind Thai Khuen. Sie sprechen ihre eigene Sprache, die mich an laotische Dialekte erinnerte. Trotzdem sind fast alle Menschen mit der thailändischen Sprache vertraut. Burmesisch hört man in Keng Tung kaum. Nur die zugewanderten Militärs, Angestellte der Behörden und wenige Geschäftsleute kommunizieren in dieser Sprache. Die vermutlich im 12. Jahrhundert gegründete Stadt Keng Tung war einst eines der frühen Thai-Königreiche, die sich vom heutigen Nordthailand bis ins südliche Yünnan erstreckten. Der letzte Versuch, Keng Tung wieder an das alte „Heimatland“ Thailand anzuschließen, wurde von der Thai-Armee mit japanischer Hilfe in der Jahren 1942-45 unternommen, am Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch von den Siegermächten wieder rückgängig gemacht.
Was danach folgte war ein Chaos aus Drogenkriegen, Unabhängigkeitskämpfen und Versuchen Burmas, Chinas und Thailands, ihren Einfluss im Shan-Staat für die Nutzung der natürlichen Rohstoffe zu sichern. Leidtragende dieser Konflikte waren immer die einfachen Menschen der vielen Minderheiten.Die Stadt Keng Tung selbst blieb von den Kämpfen weitgehend unberührt, im gesamten Shan-Staat aber kam es zu enormen Flüchtlingstragödien, zwangweisen Umsiedlungen und wechselnder militärischer Unterdrückung. Bis heute ist der Frieden nicht wieder hergestellt. Ruhe herrscht nur dort, wo Machtverhältnisse eindeutig geklärt sind. Trotz Waffenstillständen und Friedensverträgen des Regimes mit den ethnischen Gruppierungen brechen immer wieder neue Gefechte zwischen staatlichen Truppen und den Rebellenarmeen aus. Dabei geht es vorwiegend um Geld, Drogen und wirtschaftliche Kontrolle. Während unserer Reise durch den Eastern Shan State und die Special Area 4 wurde nur 200 km weiter nordwestlich zwischen Burmas Armee und Soldaten der Kokang Rebellen gekämpft. Inoffizieller Grund: Einfluss im Kautschukhandel mit China.
Ist die touristische Öffnung so einer Region überhaupt erstrebenswert? Ich sage Ja. Mit wachsenden Touristenzahlen steigert sich auch die finanzielle Unabhängigkeit der Bevölkerung vom Staat und dessen Strategien. Natürlich profitiert auch das repressive Regime. Es wird mit wachsenden Einnahmen aus dem Tourismus aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch seine Gesinnung langsam ändern und nicht kriegsfördernde, sondern friedensbringende Maßnahmen in Regionen wie dem Shan-Staat setzen. Auch die Frage, ob es möglich ist, weitgehend die Lokalbevölkerung mit touristischen Ausgaben zu unterstützen, will ich mit einem klaren Ja beantworten.
Touristische Infrastruktur
Komfort aus Beton - das New Kyaing Tong Hotel
Genau das war eines meiner selbstgesetzten Ziele für diese Reise: So wenig Geld wie möglich an den Staat zu geben. Unsere Unterkunftssuche in Keng Tung gestaltete sich auch dementsprechend. Leone, Janey, Bernhard und ich klapperten ein Gästehaus nach dem anderen ab, um uns einen Eindruck vom Angebot zu verschaffen. Unterkünfte sind nicht rar in Keng Tung. Neben dem riesigen staatlich geführten New Kyaing Tong Hotel gibt es mindestens 8-10 weitere Hotels und Gästehäuser. Die Preise der Gästehäuser sind ein wenig höher als in Nordthailand, das New Kyaing Tong Hotel im Verhältnis billig. Eine Nacht im klimatisierten Doppelzimmer kostet dort zur Zeit 18 Dollar inklusive einfachem Frühstück für zwei Personen. Meine Reisegefährten Leone und Bernhard erlagen hier der Versuchung und entschieden sich für den Komfort aus Beton. Ich nahm ihnen diese Wahl aber keineswegs übel. Keng Tungs Gästehäuse bieten im Vergleich viel weniger Luxus und sind teilweise sogar noch teurer. Die Strategie des großen Hotels ist klar – die Konkurrenz unterbieten. Profit kann der Betreiber damit aber wohl kaum erwirtschaften. Die ersten Anzeichen der langsamen Verwahrlosung sind auch bereits erkennbar: Ein thailändischer Gast erzählte mir von seiner Klimaanlage, die das Zimmer eigentlich mehr aufheizte als kühlte und bei anderen Gästen musste der Klempner spätabends ans Werk. Leone und Bernhard hatten mehr Glück und waren sehr zufrieden mit ihrer Unterkunft.
Meine Wahl: das Sam Yweat Guest House - Homestay im Shan-Stil
Meine und Janeys Wahl fiel auf das einfache Sam Yweat (sprich Saam Jood) Gästehaus unweit des lokalen Marktplatzes. Ein Zimmer im Holzhaus der Familie kostete dort 13 Dollar inklusive Frühstück. Klimaanlage hatten wir keine und brauchten sie auch nicht. Nachts kühlte es im 800m hoch gelegenen Keng Tung auf angenehme Temperaturen ab. Ein weiterer Vorteil der Nächtigung bei einer lokalen Familie ist der einfache Erhalt von Information über die Region und touristische Ziele. Frau Khan, die Besitzerin des Sam Yweat, nahm sich sehr viel Zeit für meine Fragen.
Neben unseren gewählten Hotels gab es noch das sehr saubere, neue Paradise Hotel um 29 Dollar, Harry’s Gästehaus am nördlichen Stadtrand mit 20 einfachen Zimmern für 6-12 Dollar ohne Verpflegung, das Private Resort an der Straße zum Flugplatz für 16 Dollar und noch weitere kleine Etablissements im Stadtzentrum unweit des Nong Tung Sees. Entlang dessen Ufer findet der Reisende auch ein paar Teehäuser und das Azure Restaurant, welches wir fast jeden Abend unseres Aufenthaltes in Keng Tung aufsuchten. Aufgekocht wurde unter einem Flugdach vor dem Haus der Besitzer und serviert wurden die örtlichen Leckereien auf schnell aufgestellten Tischen direkt neben den klaren Wassern des Nong Tung. Diese nahezu perfekte Idylle wurde nach Einbruch der Dunkelheit nur von jungen Leuten gestört, die mit ihren Mofas rund um den See flanierten – vor wenigen Jahren waren sie sicher noch per Pedes oder mit dem Drahtesel unterwegs… Große Gartenrestaurants wie überall in Thailand findet man in Keng Tung noch nicht. Die kulinarische Landkarte beschränkt sich auf simple Einrichtungen, die Qualität des Essens ist aber hervorragend und abwechslungsreich. Es gibt thailändische, chinesische, burmesische und indische Küche, sodass selbst dem verwöhnten Gaumen nicht langweilig wird.
Religion in Keng Tung
Den zweiten Tag in Burma verbrachten wir mit der Erforschung der Stadtlandschaft. Ich stürzte mich gleich am Morgen in den bunten Markt von Keng Tung und begann nach einem kurzen Regenguss zur Mittagszeit eine Fototour durch die alten Straßen und buddhistischen Tempel der Stadt. Ganz Keng Tung ist ungewöhnlich sauber und die religiösen Anlagen befinden sich in sehr schönem Zustand. Im Wat Keng Koom erzählte mir der Abt von vielen thailändischen Pilgern, die teilweise mehrere 10,000 Dollar für die Renovierung der Tempel Keng Tungs hinterließen. Ob dass von den Behörden Burmas so ohne weiteres geduldet würde, fragte ich den Mönch. „Ja, solange man einen kleinen Betrag an Steuern abgibt…“, war die ehrliche Antwort. Schröpfung also auch hier. Naja. Ich hatte aber noch eine ganz andere, etwas peinliche Frage an den Abt: „Heute saßen wir beim Frühstück im Innenhof des Gästehauses, als zwei junge Novizen mit ihren Almosenschalen zum Tisch kamen. Ich gab ihnen einen von zwei Kokosnusskuchen, die ich am Vorabend in einer indischen Bäckerei gekauft hatte. Einer der beiden Mönchsnovizen verlangte plötzlich Geld! Ich wies ihn etwas erbost weg. Wie kommt es, das Mönche auf diese Art Geld erbetteln?“
Wat Keng Koom, einer der über 40 Tempel Keng Tungs
Der Abt des Wat Keng Koom klärte mich sofort auf: „Pass auf, wenn du Mönche in braunen Roben siehst. Sie sind Burmesen und oft nur Bettler oder Armeedeserteure. Die Burmesen im Shan-Staat sind arm. Kein Shan-Mönch würde auf diese Art Almosen erhaschen. Wie nehmen die Burmesen auch nicht in unseren Tempeln auf – da gibt es nur Probleme. Wenn du spenden willst, oder Gaben an Mönche reichen möchtest, komme am Morgen einfach direkt in den Tempel.“ Der Abt bedankte sich sogar für meine Frage. Es sei für ihn hilfreich, um ein Bild der religiösen Situation in Keng Tung zu erhalten. Diese sei sonst aber völlig ungestört, bestätigte er weiter. Am Sonntag läuten die Kirchenglocken, Freitags hört man den Gesang des Imam und zweimal täglich wird die klare Luft Keng Tungs von den Gongs der vielen Klöster erschallt. Religiöse Unterdrückung würde hier von der Armee oder den Behörden nicht praktiziert, lehrte mich mein Gesprächspartner. Dieser Eindruck bestätigte sich auch bei meinem Besuch in der katholischen Mission, wo ich mit ein paar zufällig anwesenden Schülern des angeschlossenen Internats diskutieren konnte. Lehrperson war keine zur Stelle, es war Feiertag. Die Schüler des Missionsgynasiums waren ethnisch bunt gemischt – Shan, Akha, Muser, Wa. Alle aus verschiedenen Distrikten des Eastern Shan State und alle gute Freunde. Ihre Bücher waren teils in Burmesisch, teils in Englisch gedruckt, wie beispielsweise die Skripten für Mathematik, Chemie und Physik. „Daher also die guten English-Kenntnisse der Jugendlichen Keng Tungs…“, dachte ich mir sofort.
Der Tag war schneller vorüber, als mir lieb war. Den Abend genossen wir vier dann gemeinsam in unserem Stammrestaurant Azure am Nong Tung See bei romantischem Mondschein und fernem Wetterleuchten.
Special Region No. 4 – der Kleinstaat im Unionsstaat
In der Regenzeit wird der Highway stellenweise zur Herausforderung
Tag 3 der Reise – der Asian Highway No. 2 hatte uns wieder. Von Keng Tung bis Möng La an der chinesischen Grenze sind es zwar nur 85 km, aber die schlechten Straßenverhältnisse und ein 1300m hoher Pass machen den Trip zur Tagesreise. Schon nach wenigen Minuten hielten wir an einem Morastloch mitten im Highway an. Ein schwer beladener burmesischer Lastwagen steckte bis zur Achse im Dreck. Ein zweiter LKW schaffte es dann doch, den hängengebliebenen Wagen mit einem Stahlseil aus dem Schlammloch zu ziehen. Ich würde in Burma kein Lastwagenfahrer sein wollen. Etwa 20 km hinter Keng Tung begann die Straße dann anzusteigen und wand sich vorbei an kleinen Bergdörfern der Thai Lue und Akha bis auf einen 1300m hohen Pass. Die Aussicht auf die umgebende Bergwelt war dort oben grandios. Wir hielten neben einer Gruppe Shan-Motorradfahrern an und genossen die frische Bergluft. Nach einem kurzen „Hello – Sawadi Khap“ reichte uns der älteste Mann der Gruppe schon eine Wasserflasche. „Nein danke“, sagte ich kurz, „wir haben selbst Wasser mit.“ Der 49-jährige Reisbauer und ehemalige Shan-Soldat lachte laut auf und erwiderte: „Nein, das ist keine Wasser, junger Mann. Das ist Shan-Medizin. Reisschnaps vom Besten!“ Bernhard und ich konnten nun nicht mehr entkommen. Wir mussten kosten. Lecker war das Gebräu ja schon, aber ich musste noch an meine Weiterfahrt auf der herausfordernden Straße denken.
Wir trafen überall liebenswerte Menschen
Bevor wir uns verabschiedeten, erzählte mir der stolze Herr noch von seinen heroischen Kämpfen gegen die burmesische Armee, und trank dabei einen Schluck Schnaps auf jeden Gefallenen. Na Prost, ich hoffte nur noch, dass der gute Mann sein Leben nach all den tapferen Gefechten nicht auf dem Asphalt verlieren würde.
Wieder unten im Tal passierten wir so unkompliziert wie am ersten Tag einen burmesischen Kontrollposten, bevor wir am Schlagbaum der Special Region No. 4 angehalten wurden. Hier saßen nicht mehr die Burmesen oder Shan – hier war alles unter der Kontrolle der NDAA und ihrem Führer U Sai Lin. Wir betraten einen neuen Staat im Staat. 36 Yuan (6 Dollar) knöpfte man uns pro Person als „Zutrittsgebühr“ ab und weiter 40 Yuan für das Auto. Hätten wir unsere Baht, Dollar und burmesischen Kyat nicht schon in Keng Tung in chinesische Yuan umgewechselt, wären wir nicht durch den Checkpoint gekommen. In der Special Region No. 4 gibt es nur eine Währung – den Yuan eben. Und das, obwohl das Gebiet rechtlich noch immer Union of Myanmar gehört. Wir wussten von der ersten Minute an, wer hier das Sagen hatte – China.
Hässliche Hochburgen der Spielerei und Prostitution - Möng Las chinesische Hotels
Alles ist hier anders als im übrigen Eastern Shan State. Die Autos haben eigene Nummerntafeln, alles ist in Chinesisch beschriftet, es gelten andere Gesetze und selbst die Uhren sind auf China ausgerichtet. Bereits vor dem Erreichen der Stadt Möng La viel uns auf, wie sehr das Reich der Mitte auf diese Region Einfluss nimmt. Riesige Bananen- und Kautschukplantagen dienen der chinesischen Versorgung und hässliche Einheitsbetondörfer mit Müll an jeder Ecke wurden für chinesische Einwanderer aus dem fruchbaren Boden der ehemaligen Reisfelder gestampft. Die Thai Yai und Thai Lue wurden in ihrem eigenen Land zu Minderheit degradiert. Ihre Dörfer und Felder gibt es zwar nachwievor, ihre Kultur und Traditionen werden der chinesischen Bulldozer-Wirtschaft auf lange Sicht aber kaum standhalten können.
Auch die touristische Entwicklung läuft in Möng La gänzlich anders ab als in Keng Tung. Möng La ist ein Spielerparadies und eine Hochburg der Prostitution. In jedem Hotel stehen Spielautomaten, die Eingangshallen und Zimmer sind verraucht und muffig und bereits vor Sonnenuntergang flitzen chinesische Stundenmädchen durch die Korridore. Es gibt zur Zeit nur wenige Spiel- und Sextouristen in Möng La. Schuld daran ist ein weiterer Wirtschaftskonflikt zwischen Burma, der SR 4 – so nennt sich die Region allgemein – und China. Die Grenze ist nur bedingt geöffnet. Wer sie überschreiten durfte, konnte ich auch in einem Gespräch mit einem Grenzsoldaten der SR 4 nicht in Erfahrung bringen. Man wollte mir nichts sagen. „Ab November wird die Grenze wieder offen sein.“, sagte der Privatarmeeoffizier, der auch Thai sprach, nüchtern. Schön, dann kann das Spielen und Huren der großteils chinesischen Touristen wieder mit Volldampf weitergehen. Die Stadt sieht auch wirklich verlassen und heruntergekommen aus. Sauberer wird sie aber mit chinesischen Touristen sicher nicht werden, da wette ich meinen letzten Yuan drauf.
Tourismus als chinesische Exportware - Zocken und Huren im Spielerparadies Möng La
Nach mehreren Versuchen, ein einigermaßen sauberes und nicht zu sehr stinkendes Hotel zu finden, landeten wir im Pa Lai. Auch hier war es muffig, aber noch immer besser als in vielen anderen Spielerunterkünften Möng Las. Das Zimmer im Pa Lai kostete 12 Dollar und war bis auf den Tabakgeruch recht sauber. Wie sehr Möng La auf das Wohl seiner Sextouristen bedacht war, sahen wir auch gleich am Abend, als wir vom einzigen Thai-Restaurant der Stadt zurückkamen: Unter der Tür fanden wir eine Visitenkarte mit dem Bild einer leichtbekleideten Dame und einigen Telefonnummern. Was draufstand konnte ich nicht eruieren – es war lediglich in Chinesisch gedruckt. Beim näheren Inspizieren unserer Ruhestätte fanden wir auch noch eine Gratispackung Kondome, verteilt vom Malteser Orden – eine rücksichtsvolle Maßnahme zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Na immerhin.
Eine geplante Tour in die Umgebung der Stadt, sowie ein frühmorgendlicher Sonntagsgottesdienst in der katholischen Kirche Möng Las fielen leider beide ins Wasser. Die Kirche war geschlossen, obgleich wir eine Uhrzeit für die Messe in Erfahrung bringen konnten und zu allem Überdruss begann es vormittags auch noch aus allen Wolken zu schütten. Wir beließen unsere Sightseeing-Tour mit dem Besuch des lokalen „Museum in Commendration of Opium-Free in Special Region 4 ESS“. So nannte man das propagandistisch-informative Opium-Museums unweit der Grenze. Mag sein, dass die Special Region 4 seit ein paar Jahren Opium-frei ist, das Nichtvorhandensein der Methamphetaminproduktion kaufe ich den Behörden jedoch nicht ab. „Yaa Baa“, die Idiotendroge, wie sie in Thailand genannt wird, hat in vielen Regionen Burmas das aufwendig herzustellende Heroin als Cash-Cow abgelöst. Speziell Mitglieder der ethnischen Gruppen Kokang, Wa und der zugewanderten Chinesen im Shan-Staat sind massiv im Drogenhandel involviert. Neben den Erfolgen in der Ausrottung des Drogenhandels wird im Museum auch noch die positive wirtschaftliche Entwicklung Möng Las eindrucksvoll in Bildern und mit zwei 3-D-Reliefs der Stadt dargestellt. Ich erstarrte nahezu; nicht vor Ehrfurcht jedoch, sondern vor Missgunst. Wo soll der Erfolg liegen, wenn man ein Dutzend riesige Hotel und ein paar Spielhöllen baut und sich damit auch noch das Problem der unkontrollierten Prostitution eingehandelt hat. Den chinesischen Nutznießern ist diese Entwicklung sicher völlig egal – Chinas Böden bleiben „sauber“, verschmutzt wird nur das Nachbarland. Ich machte diese schmerzvolle Entdeckung auch schon in Nordlaos.
Mit sehr gemischten Gefühlen und wertvollen Erfahrungen verließen wir Möng La im Regen und fuhren langsam wieder zurück nach Keng Tung, um dort weitere zwei Nächte zu verbringen.
Ein lehrreicher Ethno-Trip
Sai Win - Nachhilfelehrer für Mathe und Englisch, sowie Tour Guide
Die hohen Berge zwischen Möng La und Keng Tung bilden eine Wetterscheide. Während es oben an der chinesischen Grenze unfreundlich nass war, schien in Keng Tung bei unserer Ankunft die Sonne. Grund genug, das schöne Wetter am nächsten Tag für eine Exkursion zu mehreren ethnischen Minderheiten der Region zu nützen. Ich bat das Sam Yweat Gästehaus, den Guide Sai Win anzurufen, damit er uns zu den zahlreichen interessanten Ortschaften leiten würde. Sai Win war früher Mathematik- und Englischlehrer, hat sich aber vor einigen Jahren als lokaler lizensierter Reiseführer selbständig gemacht. Ich traf ihn bereits vor unserer Fahrt nach Möng La und er überzeugte mich mit seinem reichen Wissen. Zudem spricht Sai Win neben Burmesisch, Thai und Englisch auch noch die Dialekte der Akha, Änn und anderer Volksgruppen.
Vor unserer Abfahrt aus Keng Tung bat ich Sai Win noch schnell, ein paar nützliche Geschenke für die Dorfbewohner zu kaufen. Schulartikel wären nicht notwendig, sagte Sai Win, aber Seife. Also gut, ich ließ unseren Guide alleine in den Frischmarkt gehen um Seife und Waschpulver zu besorgen. Leider war das ein Fehler… Nicht die Entscheidung für die Seife, sondern ihn alleine einkaufen gehen zu lassen. Sai Win kam zwar mit dem gewünschten Waschpulver zurück, hatte aber auch noch Unmengen von kleinen Shampoo-Säckchen und in Plastik verpackte Schokoriegel und Luftballons gekauft. „Ich habe auch was für die Kinder dabei.“, sagte er stolz, als er mir die Naschereien zeigte. Es war mein Fehler, daher konnte ich ihm nicht böse sein. Ich nutzte aber die Gelegenheit, um Sai Win meine Gedanken zu Schokolade und Plastikmüll zu unterbreiten. Ich denke, es war eine lehrreiche Erfahrung für uns beide. Bei der nächsten Gelegenheit werde ich sicher selbst einkaufen gehen und offene Naturseifenblöcke erstehen. Und wenn schon Süßigkeiten, dann zumindest unverpackte Lakritze oder ähnliche traditionelle Leckereien.
Die Fahrt ging los. Erste Ziele waren das Lahu-Dorf Pin Tauk 20 km nördlich von Keng Tung, sowie ein kurz danach gelegenes Akha-Dorf und eine kleine Bergsiedlung der Änn. Ich hatte in den letzten Tagen immer wieder über den brüchigen Zustand des Asian Highway No. 2 genörgelt. Das werde ich in Zukunft nie wieder machen. Wir bewegten uns nun auf Wegen, die einer schlammigen Mondlandschaft mit tausenden kleinen Kratern glichen, obgleich sie auf lokalen Karten als befestigte Straßen eingezeichnet waren. Sai Win versuchte mich zu überzeugen, dass es weiter ausserhalb von Keng Tung noch viel schlimmer um die Verkehrswege bestellt war. Dort würde in der Regenzeit ungeschriebene Allrad- und Kettenpflicht bestehen, wollte man sein Ziel erreichen. Ich dachte bereits sehnsüchtig an die Ketten und den Krampen, welche zuhause in Thailand wohlverwahrt im Haus lagen. Wir würden schon nicht hängenbleiben, munterte ich mich selbst auf.
Freude bei den Akha über unseren Besuch im Dorf
Nach weit über einer Stunde erreichten wir auch heil Pin Tauk, fuhren aber gleich weiter in die nahe Akha-Niederlassung. Beide Dörfer waren ungemein gepflegt und sauber. Das kann man von vielen Bergdörfern in Thailand nicht behaupten. Unser Guide erklärte mir, dass in den Schulen ganz besonders auf Reinlichkeit und Müllentsorgung geachtet würde und die Kinder bei Missachtung dieser Regeln auch bestraft würden. War das der alte Einfluss britisch-kolonialer Erziehung? Schlecht war es keineswegs. Vor thailändischen und laotischen Schulen sieht es vergleichsweise ungepflegt aus und viele Regionen Kambodschas gleichen ohnehin mehr einer Müllhalde. Als wir zu Fuß durch das Akha-Dorf schlenderten, kamen auch ein paar Frauen mit Handarbeiten aus ihren Hütten. Die Art, wie sie ihre hübschen Waren anboten, war jedoch keineswegs aufdringlich oder gar lästig, wie es in anderen Ländern Südostasiens oft der Fall ist. Hier machte es Spaß, die Dörfer zu besuchen und die Menschen hatten auch sichtlich Freude mit uns Touristen. Es wurde viel gescherzt und gelacht.
Wir marschierten weiter zügig einen Berghang hoch und betraten nach einer halben Stunde ein namenloses Dorf der Änn. Auch hier war es sauber, die Hütten waren jedoch von sehr primitiver Bauweise. Die Änn sind ein uralter Mon-Khmer-Stamm, ein Überbleibsel der einst riesigen Königreiche, die vor über 1000 Jahren bis in diese Region reichten. Als ich die ersten Gesichter der Dorfbewohner sah, glaubte ich mich nach Kambodscha versetzt. Die Antlitze der Menschen glichen alten Khmer-Bildnissen in Tempeln und ihre Hautfarbe war sehr dunkel. Ihre Religion, sofern sie jemals wie ihre Vorfahren den Hinduismus praktizierten, hatten die Änn vor langer Zeit verloren und waren nun Animisten. Sie haben heute nur noch einen Schrein mit einer heiligen Trommel, die niemand berühren darf. Ihren Kindern geben die Änn nicht einmal Namen und wie alt sie sind, wissen sie auch nicht. Ein weiteres untrügliches Zeichen ihrer Mon-Khmer-Abstammung ist die Sprache, deren Betonung sehr an das heutige Khmer erinnert. Der Wortschatz ist aber sehr, sehr eingeschränkt und Schrift kennen die Änn ohnedies nicht. Ihr Nachwuchs geht auch nicht in die Schule.
Die Kinder der Änn wachsen ohne Namen und Geburtstag auf
Wovon leben diese einfachen Menschen nun? Schweinezucht im Dorf, ein wenig Bergreis- und Erdnußanbau. Erforderliche Waren tauschen die Änn gegen ihre Produkte ein. Für die wenigen Touristen, die es bis hierher schaffen, fabrizieren die Frauen kleine Taschen und traditionelle Kleidungsstücke.
Es ist erstaunlich, wie so viele völlig unterschiedliche Volksgruppen im Shan-Staat nebeneinander leben können. Krieg haben diese Bergstämme offensichtlich selten gegeneinander geführt. Die großen Konflikte kamen mit den Briten, dem burmesischen Militär und Chinesen ins Land, und natürlich mit dem Drogenhandel. Im Shan-Staat werden die Änn, Palaung, Akha, Lahu, Lisaw, Akhue und alle anderen Völker wegen ihrer ethnischen Volkszugehörigkeit vom burmesischen Regime momentan nicht mehr wirklich unterdrückt. Die „Birmanisierung“ geht hier sanfter vonstatten als einst die „Thaiisierung“ der Bergstämme Nordthailands. So sieht es zumindest Sai Win, selbst ein Mitglied einer ethnischen Minderheit.
Hier wird aus Reis "Medizin" gemacht: Schnapsbrennerei außerhalb von Keng Tung
Im Anschluss an diese Bergdorfbesuche führte uns Sai Win in eine kleine Reisschnapsbrennerei in einer Thai Khuen-Ortschaft unweit von Keng Tung. 240 Liter des berauschenden Gebräus werden hier täglich destilliert. Das Ergebnis sind zwei unterschiedliche Qualitäten – die gute für die Lokalbevölkerung und die nicht ganz so gute für den Export nach China. Der Einkaufpreis der guten Ware liegt bei einem Dollar pro Liter! Kein Wunder, dass unsere Freunde, deren Bekanntschaft wir auf dem Pass zwischen Keng Tung und Möng La machten, den Reisschnaps wie Wasser schlürften.
Nach einem guten Nudelsüppchen im Schnapsdorf fuhren wir durch prächtig gelbgrüne Reisfelder weiter in eine Siedlung der Palaung. Dieser Stamm ist bekannt für seine Webereien und schöne Silberhandarbeiten. „Die Palaung sind reiche Leute!“, erklärte Sai Win im Dorf, „Sie kaufen alte Silbermünzen und Rohsilber und verarbeiten es in schönen Schmuck, den sie an andere Ethnien verkaufen. Mit Touristen machen die Palaung bis heute praktisch noch kein Geschäft. Dafür kommen viel zuwenig Reisende hierher.“ Uns fiel beim Spaziergang auch auf, dass viele sehr alte Menschen in dieser Ortschaft lebten. Dieser Eindruck wurde uns auch wieder von Sai Win bestätigt: „Die Palaung werden sehr alt, weil sie sehr gesund leben. Hier im Dorf gibt es einige weit über 90-jährige Bewohner.“ Mit einer scherzhaft aufgelegten 96 Jahre alten Ururgroßmutter machten wir auch persönlich Bekanntschaft. Mir ging auch durch den Kopf, dass Schweinefleisch doch nicht so ungesund sein konnte, wenn ich die Menge der grunzenden Dorfbewohner hier bei den Palaung betrachtete. Vielleicht lag es daran, dass es Wildschweine waren, und keine rosaroten Hausschweine.
Den Abschluss des Tages bildete noch ein „Ritt“ durch knöcheltiefen Schlamm in eine kleine Siedlung der Akhue (nicht zu verwechseln mit den Akha), 15 km östlich von Keng Tung bei Mong Lan. In ihrem Dorf funktionierte die Müllentsorgung definitiv nicht. Seltsam. Es war der einzig ungepflegte Ort, den wir in all den Tagen zu Gesicht bekamen. Sai Win schob die Schuld auf den Dorfvorsteher; das wird es wohl sein. Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir wieder Keng Tung, wo wir uns bei Sai Win bedankten und ihn auch finanziell für seine großartige Tour entschädigten.
Rückfahrt und Resümee
Erinnerung an die vielen Checkpoints: die x-fach gestempelte Reisegenehmigung der burmesischen Einwanderungsbehörde
Bereits während der Rückfahrt nach Tachilek am Tag 6 unserer Burmareise diskutierten Leone, Janey, Bernhard und ich über Erlebtes, Gelerntes und positive wie negative Eindrücke. Die drei Kontrollposten der Immigration ließen uns wiederum schmiergeldlos passieren, die Autobahngebühr war gleich geblieben, bloß Tachilek begrüßte uns mit einem weiteren Schildbürgerstreich: Bei der Einfahrt in die Stadt mussten wir 1500 Kyat (1,5 Dollar) Straßenbenützungsgebühr für die zivile Stadtadministration berappen. Ich wusste zunächst nicht, ob ich heulen, lachen oder schreien sollte. Ein lächerlicher Betrag, der aber die letzten 5 km in Burma beinahe versauerte. Was die Stadtadministration nicht schaffte, gelang dann schließlich einer anderen staatlichen Behörde, die 20m vor dem Grenzbalken, als wir bereits alle Ausreiseformalitäten erledigt hatten, noch ein paar Dollar für die Staatskasse verlangte. Ich weiß nicht mehr wirklich wofür, vielleicht war es eine Taxe für den verursachten Gummiabrieb auf Burmas edlen Asphaltpisten.
Der Gesamteindruck der Reise soll aber durch diese Dummheiten der burmesischen Bürokratie nicht getrübt werden. Unerwähnt darf man jene Eseleien aber auch nicht belassen. Sie entscheiden mit, ob ein Tourist das Land wieder bereisen wird oder genug hat von unnotwendigen und psychologisch ungeschickten Hürden.
Zur Sicherheit während unserer gesamten Kurzreise kann ich nur vermerken, dass die ursprünglichen Aussagen vieler Thais entweder falsch oder einfach erlogen waren. Wir wurden weder bestohlen, angepöbelt, angebettelt und schon gar nicht bedroht. Woher diese Gerüchte über schlummernde Gefahren stammen, weiß ich nicht. Es mag schon sein, das dem einen oder anderen Touristen aus eigener Nachlässigkeit Geld oder die Kamera gestohlen wurde. Wo in der Welt passiert das nicht? Vielleicht in Nordkorea, wo man auf Schritt und Tritt bewacht wird. Die Gefahr, in einen bewaffneten Konflikt zwischen Rebellen und der Armee zu gelangen, ist praktisch auch gleich Null. Die Kontrollposten würden eine Weiterfahrt ohnehin nicht erlauben, wenn sich die Lage in einer Teilregion zuspitzen sollte. Viel größer ist da die Gefahr, aufgrund eines Erdrutsches am Asian Highway No. 2 in der Regenzeit für 2 oder 3 Tage festzusitzen.
Ich hoffe, den schönen Shan-Staat wiedersehen zu können
Mein wichtigster Eindruck allerdings war, dass sich absolut niemand im Shan-Staat für einen touristischen Boykott aufgrund der politischen Lage in Burma aussprach. Die Menschen wollen Touristen. Und wenn ich das Verhalten der Polizei und anderer Organe mit eigenen Erfahrungen aus den 90er Jahren vergleiche, muß ich eingestehen, dass Burmas offizielle Seite um vieles freundlicher und höflicher geworden ist. Das ändert dennoch nichts an der komplizierten und repressiven politischen Lage im Land. Der Tourismus aber, und hier vor allem der aufmerksame engagierte Individualreisende, kann mithelfen, die gespannte Lage in vielen Regionen Burmas zu entschärfen. In grenznahen Regionen wie dem Shan-Staat besteht auch eine sehr aussichtsreiche Chance, die lokale Bevölkerung finanziell zu unterstützen, ohne das Regime in Ragoon gernzenlos zu bereichern. Ich spreche mich daher für eine Reise in einzelne Regionen, besonders den Shan-Staat, aus. Jeder sollte sich aber bemüht fühlen, seine Gedanken und friedenschaffenden Argumente auch bei den offiziellen Stellen zu deponieren, ohne diese zu kompromitieren und sich dabei in die Gefahr zu begeben, als Unruhestifter ausgewiesen zu werden. Ich stehe allerdings auch auf dem Standpunkt, dass organisierter Massentourismus in Burma abzulehnen ist, wenn dabei Einrichtungen benützt werden, die unter repressiven und sozial nachteiligen Bedingungen errichtet wurden. Ich habe im Shan-Staat in nur wenigen Tagen die Erfahrung gemacht, dass ein Gesamtboykott vermutlich nichts bringt und man sehr wohl von den Behörden angehört wird. Die Summe der Stimmen und kritischen Berichte in allen Medien kann etwas bewirken. Um aber die Menschen im Land zu hören und ihre Situation zu verstehen, ist eine Reise dorthin unerlässlich. Ich möchte auch noch anmerken, dass diese Fahrt nicht mein erster Kontakt mit Burmesen war. Ich lebte bereits über 10 Jahre an der thailändisch-burmesischen Grenze und habe sehr viele Burmesen aller Klassen und Volksgruppen dort kennengelernt und ihre Sorgen und Wünsche schon vor Jahren vernommen. Gegen Tourismus in Burma sprachen sich auch damals nur sehr wenige Aktivisten aus, meist jene, die permanent als Polit-Flüchtlinge seit Jahren im Exil lebten. Ich freue mich schon auf den nächsten Besuch im Shan-Staat, wann immer er kommen wird. Dann werde ich aber sicher versuchen, mit gespendeten Hilfslieferungen wie Kleidung oder Decken für Bergdörfer ins Goldene Land zu fahren.
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